Matthias Rataiczyk

Matthias Rataiczyk

von Halle nach Südeuropa, Afrika, Asien und zurück

Zwei Pole gibt es in der künstlerischen Existenz von Matthias Rataiczyk: Zum einen sein Geburts- und Wohnhaus mit Atelier in der Talstraße in Halle gegenüber der Burg Giebichenstein an der Saale gelegen, zum anderen seinen Künstler- und Freundeskreis, den Kunstverein „Talstrasse“ e.V..
Die ruhigen, fast meditativen Bilder und Collagen Rataiczyks lassen eher auf einen introvertierten Menschen schließen. Auch die Motive und Motivsuche führten ihn häufig an einsame, verlassene Orte seiner Heimatstadt oder nahezu menschenleere Wüsten- und Gebirgsgegenden Marokkos am Rande der Sahara oder des Anti-Atlas; seine jüngsten Reisen unternahm er nach Thailand und zu den Tempelruinen von Angkor im Hinterland der Provinz Siem Rap in Kambodscha, mitten in dichtem Urwald.
Dagegen stehen Matthias Rataiczyks Aktivitäten in Halle als Mitbegründer und Mitinitiator eines der ersten Kunstvereine (1991) nach Zusammenbrechen des staatlich kontrollierten und betriebenen Kunstbetriebes in der DDR. Diesem Kunstverein steht er seitdem als Vorsitzender vor. Er ist Kurator und Organisator von Ausstellungen und Publikationen, extrovertiert und den menschen zugewandt.

Nähe und Ferne – das Gehen und Sich-Freuen zurückzukommen – eine Wurzel haben: so beschreibt er es selbst.
Matthias Rataiczyk wurde 1960 in Halle geboren. Aufgewachsen in einem Haus in der Talstraße , in der mehrere Künstlerfamilien ihren Arbeits- und Wohnort hatten. Frühzeitig wurde er nicht nur vom Elternhaus, sondern auch von Freunden an künstlerisches Arbeiten und künstlerische Techniken herangeführt. Noch als Schüler entdeckte er sein Interesse für Hinterlassenschaften früherer Menschengenerationen. Er beteiligte sich an vorgeschichtlichen Ausgrabungen des archäologischen Landesamtes.
Nach Schule, Abitur und Wehrdienst studierte er zunächst Malerei an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle – Burg Giebichenstein. Nach dem Grundstudium mit seinem starren, weitgehend akademischen Programm entschied er sich für den Wechsel von der Malerei zum Textil. Hier gab es, im Fachbereich von Inge Götze, einen freien und experimentierfreudigen Ort. Dieses Studium war neben konventionellen Techniken durch neue Lösungen und eigene Erfindungen, sowohl in der Fläche als auch in Form ganzer Rauminstallationen, geprägt.

Die damals entstandenen textilen Bilder zeichneten sich durch eine Kombination von Applikation, Färberei, Stickerei, reliefhafter Stepperei und Malerei aus. Im Zusammenhang mit seiner Diplomarbeit, einer vier Meter mal vier Meter großen textilen Wandgestaltung für den Mehrzweckraum des Neubaues der SED-Bezirksleitung in Halle (1987), wandte er sich dem Material Vlies, zu. Auf dickes Material wurde gefärbtes dünnes Vlies appliziert. Das „Großes Stilleben“ genannte Werk, in dem stark farbige Flächen von Insekten bevölkert werden, wurde nie an seinem Bestimmungsort aufgehängt; die Konzeption des Raumes hatte sich geändert, und schließlich brachte die politische Wende das Ende der SED-Partei.
Rataiczyk, seit 1987 als freischaffender Künstler tätig, richtete in der Talstraße eine Glaswerkstatt ein und übertrug seine zuvor in unterschiedlichen Materialien und Textilien gearbeitete Collagetechnik nun in von Bleiruten getrennte Farb- und Strukturflächen, die jedoch das in den gleichzeitigen Installationen erprobte Thema Fassaden- und Architekturelemente aufnahm und in die neue Arbeitsweise integrierte. Zusammen mit Christine Triebsch entstand im umtriebigen Sommer 1989 die Gestaltung für ein Café in Leipzig (Tivoli am Sachsenplatz). Im gleichen Jahr wurde ein weiterer baugebundener Auftrag für ein kleines Café in Halles Innenstadt realisiert (Café Swing).

Gemeinsam mit seinem Vater schuf Matthias Rataiczyk das Eingangsfenster des Elisabethkrankenhauses in Halle (1992) und ein weiteres Fenster für eine Feierhalle in Freiberg/Sachsen (1993). In diese Phase des baugebundenen Arbeitens fällt auch die Teilnahme an einem künstlerisch-städtebaulichen Ideenwettbewerb für Halles Großplattenbau-Siedlung Silberhöhe. Gemeinsam mit dem Architekten Uwe Franz entwarf er Brücken und Haltestellen und wurde mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Später scheiterte jedoch die Umsetzung am nicht vorhandenen Geld. Die bislang letzte Arbeit eines experimentellen Umgangs mit unterschiedlichen Materialien stellt die Fußbodengestaltung im Foyer des ’neuen theaters‘ in Halle dar (Entwurf – 1996, Ausführung – 1998): Verschiedene Steinsorten wurden collageartig in Form und Farbe zueinander arrangiert. Eng verbunden mit seinem Interesse für Architektur, ihre Strukturen und Zusammenhänge und ihr Wirken unter dem Einfluß von Licht und Schatten sind die Erkundungszüge in seiner Heimatstadt Halle und, seit den beginnenden 1990er Jahren, seine Reisen nach Südeuropa, Afrika und Asien. Die Nahsicht wird mit der Fernsicht konfrontiert, das Eigene mit dem Fremden in Beziehung gesetzt. Damit tritt der eingangs von mir als einer der beiden Pole in Matthias Rataiczyks Leben benannte Mittelpunkt seines Schaffens wieder hervor: die Talstraße 23 in Halle. Neben einem Ort zum Wohnen und Arbeiten wurde sie zur Heimstatt des Kunstverein „Talstrasse“, der dort seit 1994 seine Ausstellungskonzepte umsetzt.

Die Talstraße wurde nicht nur zum ruhenden Pol, Lebens- und Arbeitsmittelpunkt von ihm und seiner Familie, sondern auch zum Ort reger Kommunikation. Von hier aus plant und bereitet er seine Reisen und Aufenthalte vor, hier sammelt und ordnet er die mitgebrachten Frottagen, Zeichnungen, Fotos und Filmaufzeichnungen. In seinem Wohn-Atelier entstehen die Serien und Bildreihen als Substrat der neu erworbenen und verarbeiteten Eindrücke.
Die Nähe und die Ferne oder der Mikrokosmos Halle und der Makrokosmos, die fremden Länder der Erde, treten zueinander in Beziehung. Matthias Rataiczyk hat so in einem 15jährigen Prozeß die experimentellen Erkenntnisse seines Studiums durch die Sicht und Erfassung heimischer und fremder Bildwelten für sich und seine Arbeiten zu einer eigenen charakteristischen Ausdrucksweise verschliffen. Alles zusammen – Schaffensweise wie Lebensform und -ort – zeigt damit übereinstimmende Züge, nämlich die Wurzeln, von denen Matthias Rataiczyk ausgeht und zu denen er immer wieder zurückkehrt.